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AutorenbildAnna

Zwischenseminar in Gambia

Halbzeit! 6 Monate sind vergangen, 6 weitere liegen noch vor mir. Ich kann den Satz: „Wahnsinn, wie schnell die Zeit vergeht“ nicht oft genug sagen, doch es stimmt wirklich. Irgendwie habe ich jetzt das Gefühl, dass sich die Uhr umgedreht hat und rückwärts auf die Ausreise zuläuft. Ich weiß, bis dahin ist es noch lange hin, aber mir wird jetzt mehr bewusst, dass meine Zeit hier begrenzt ist. Diese möchte ich also voll auskosten und so sehr genießen, wie ich es bisher schon gemacht habe!


Für jeden Weltwärtsfreiwilligen steht bei der Hälfte seines Dienstes ein Zwischenseminar an, das ist Teil der pädagogischen Begleitung, damit wir die bisherige Zeit reflektieren und uns weitere Ziele für die Zukunft setzen. Dieses Seminar haben wir mit vier anderen Freiwilligen in Gambia verbracht, was ein richtiges Highlight für uns war! Von meiner Reise dorthin und meinen Erlebnissen möchte ich jetzt hier berichten, zudem habe ich versucht alle Eindrücke so gut wie möglich visuell festzuhalten, weiter unten folgt also ein kleiner Film über unsere Woche in Gambia!


Gestartet hat unsere Reise ganz früh in Dakar, von dort aus fuhr nämlich der senegalesische Flixbus der Firma Senegal Dem Dikk (übersetzt Senegal hin und zurück) los. Mit dem fuhren wir in Richtung Süden und passierten später kinderleicht die Grenze. Senegal Ausreise: Stempel, Gambia Einreise: Stempel, fertig! Nachdem wir den Fluss Gambia überquert haben stiegen wir sofort aus, um in einen anderen Bus umzusteigen. Wir landeten im Dorf Soma, wo uns ein sehr freundlicher Busfahrer empfangen hat und uns erklärte, dass der nächste Bus in drei Stunden kommt, aber wir ja so lange mit ihm warten können. Prompt half er uns eine Simkarte zu organisieren und lud uns zum Mittagessen ein. Diese Offenheit und Gastfreundschaft kannte ich schon aus dem Senegal und war froh, dass es in Gambia ähnlich ist. Am Abend kamen wir nach 13 Stunden Fahrt erschöpf aber glücklich in der Lodge an, wo unser Seminar stattfinden würde.


Dieses haben wir mit vier anderen Freiwilligen aus Gambia absolviert, was sehr bereichernd für uns war. Wir haben uns über viele verschiedene Themen ausgetauscht, Erfahrungen und Erlebnisse geteilt und uns gegenseitig inspiriert. Es war sehr spannend vom Freiwilligendienst der Anderen zu erfahren, wie sie hier leben und mit welchen Herausforderungen sie schon konfrontiert wurden. Begleitet wurden wir von unseren Seminarleitern Christian und Ousman. Letzterer kommt selbst aus Gambia und konnte uns so nochmal ganz andere Perspektiven und Anstöße geben.

In den Seminareinheiten haben wir unter anderem auf die bisherigen 6 Monate geschaut und unsere Arbeit reflektiert. Gleichzeitig blickten wir auch in die Zukunft mithilfe der „Future Lab“ Methode:

1. Kritikphase: Alle derzeitigen Probleme und Schwierigkeiten werden genau benannt und definiert 2. Phantasiephase: Wie würde ich mir eine ideale Zukunft vorstellen? Welchen Zustand möchte ich anstreben? (Hier durften wir ruhig kreativ werden und die verrücktesten Ideen aufschreiben) 3. Umsetzungsphase: Jetzt geht es daran das Ideal so gut es geht auf die derzeitigen Probleme zu übertragen. Was kann ich aktiv tun, um meiner „Vision“ näher zu kommen? Welche Ressourcen und Verbündete habe ich? Mit welchem Widerstand muss ich rechnen?

Diese Methode hat mir unglaublich geholfen, meine derzeitigen kleinen und großen Herausforderungen anzugehen. Man kann sie auf jede noch so kleine Situation übertragen und das hilft dabei einen klaren Blick zu bekommen.


Zudem haben wir uns auch mit dem Thema „Weiß-sein“ und Privilegien beschäftigt. Wir alle haben hier schon Situationen erlebt, in denen es ein Vor- oder Nachteil war weiß zu sein. Tagtäglich werden wir damit konfrontiert, weshalb es auch so wichtig ist, sich mit seinem Auftreten und seiner Wirkung auf andere Menschen zu beschäftigen. Was für Privilegien bekomme ich durch meine Hautfarbe? Wie werde ich von den Menschen hier gesehen und ganz wichtig: Wie sollte ich mich selbst verhalten?


Während der Woche haben wir auch Besuch von Mariama und Fatou bekommen, die sich in Gambia für die Rechte von Frauen einsetzen und z.B. dafür kämpfen, dass Kinderheirat oder die weibliche Genitalverstümmelung konsequenter bestraft werden. Beides wird in Gambia noch praktiziert, obwohl es offiziell verboten ist. (Weibliche Genitalverstümmelung: Ritual, bei denen das äußere weibliche Genital teilweise oder vollständig entfernt, verletzt oder verstümmelt wird. Mehr Informationen gibt es hier.) Leider sind diese Praktiken hier noch sehr aktuell und in der Kultur verankert. Mariama und Fatou haben uns von ihrer Arbeit berichtet und von dem Widerstand erzählt, den sie erhalten. Manche Gambier sehen das nämlich als Teil ihrer Kultur an und lassen sich nur schwer davon überzeugen, was für furchtbare Auswirkungen diese Verstümmelung auf das Leben der jungen Mädchen haben kann. Es war also sehr ermutigend und inspirierend zu hören, wie sich Frauen vor Ort gegen diese Praktiken wehren und was sie schon dadurch erreicht haben.


Insgesamt hatten wir also eine unglaublich inspirierende aber auch anstrengende Seminarwoche hinter uns. Der Austausch über kontroverse Themen, aber auch über die kleinen Probleme des Alltags, hat mir sehr gut getan und ich startete voller neuer Motivation in die zweite Hälfte meines Freiwilligendienstes!


Nach dem Seminar wollten Caro und ich noch ein bisschen in Gambia verweilen, um das Land etwas besser kennenzulernen. Mit den anderen Freiwilligen fuhren wir also weiter zu ihren Einsatzstellen nach Gunjur. Dort haben wir schnell Anschluss gefunden und konnten sehr leicht Kontakte knüpfen. Die Gambier sind wie die Senegalesen sehr offen und freundlich, sodass man sehr schnell ins Gespräch kommt und sich gut anfreunden kann. Wir gingen zusammen auf ein Musikfestival und entdeckten die inoffizielle Hauptstadt Serekunda direkt am Strand. Auch wenn wir uns nur für eine kurze Zeit kennengelernt haben viel mir der Abschied schon schwer und ich hoffe sehr, dass ich bevor ich zurückkehre nochmal nach Gambia reisen kann!

Song: Toolbeat Sounds - African Beats
Music provided by NCM [No Copyright Music].
Creative Commons - Attribution 3.0 Unported
 

Nun ein kleiner Exkurs zu dem Land Gambia und wie es sich vom Senegal unterscheidet:

Gambia ist das kleinste Land des afrikanischen Kontinents und ist mit Ausnahme eines Küstenstreifens am Atlantik ganz vom Senegal umschlossen. Bekannt ist Gambia auch für seinen gleichnamigen Fluss, der auch maßgeblich die Form des Landes bestimmt. Der schmale Landstreifen ist in etwa so breit wie die Reichweite einer Kanonenkugel im 18. Jahrhundert. Auf diese für die damalige Zeit nicht ungewöhnliche Vermessungsgrundlage einigten sich Frankreich und England beim Streit um die Aufteilung des Gebiets. Folglich ist die Amtssprache in Gambia Englisch, hier sieht man also sehr gut welche gravierenden Auswirkungen des Kolonialismus das Leben heute noch prägen. Von den Einheimischen wird aber hauptsächlich die Sprache Mandinka gesprochen, doch auch mit unserem Wolof kamen wir gut durch, wie im Senegal wird das von vielen als zweite Sprache gesprochen. Trotzdem fiel uns die Verständigung auf Wolof nicht immer so leicht, da wir schon einen französisch-senegalesischen Slang drauf haben, den die Gambier nicht wirklich verstanden haben.


In Gambia ist der Islam zudem noch weiter ausgeprägt als im Senegal, das sieht man sofort am Straßenbild, denn viel mehr Frauen trugen Kopftücher oder waren ganz verschleiert. Die anderen Freiwilligen leben beispielsweise alle in muslimischen Gastfamilien und haben mit dem Christentum eher wenig Kontakt.

Anders war auch die Natur: Da sich das Land rund um einen riesigen Fluss windet war es dementsprechend wunderbar grün! Insgesamt war es auch viel kühler als in Thiès, in den Nächten mussten wir uns also richtig dick anziehen. Zu blöd, dass wir uns beim Packen eher auf heißes Wetter eingestellt haben, aber ein bisschen frösteln hat uns dann doch wieder an zuhause erinnert.

Ein kleines Porträt von Gambia haben wir auf Instagram hochgeladen, hier ist es auf meinem Blog zu sehen.


Oft haben mich die Menschen hier gefragt, was denn die Unterschiede zwischen Gambia und Senegal seien. Lustigerweise habe ich auf beiden Seiten das Klischee gehört, dass die Anderen dauernd am feiern und Party machen sind (ganz bestätigen kann ich das nicht, aber die Gambier feiern sicher mindestens genauso oft wie die Senegalesen). Ansonsten musste ich sagen, dass es keine nennenswerten großen Unterschiede gibt und sich diese künstliche Trennung der Länder nur auf den Kolonialismus zurückführen lässt. Es hätte mich gewundert, wenn Gambia ein komplett anderes Land gewesen wäre, doch die Menschen und die Kulturen unterscheiden sich nur wenig von denen im Nachbarland. Ich habe mich wie im Senegal sehr wohl gefühlt und habe vor allem die Gastfreundschaft und das unbeschwerliche Kontakteknüpfen sehr genossen!

 

In Bezug auf diese Reise passt es thematisch noch ganz gut, wenn ich hier mal etwas über die von Caro und mir benannte senegalesische Spontanität erzähle. Zeitempfinden und die generelle Strukturierung des Alltags unterscheiden sich nämlich deutlich von der in Deutschland.


Prinzipiell kann ich sagen, dass man hier mehr in den Tag hinein lebt und selten Aktivitäten plant, die länger als eine Woche entfernt sind. Ich rede hier ausschließlich von der Freizeitgestaltung, in Schulen oder auf der Arbeit läuft nämlich alles zeitlich geregelt ab. So kommt es vor, dass man nicht immer weiß, was man am gleichen Abend oder am Wochenende macht. Oft ergibt sich alles spontan, man trifft z.B. jemanden auf der Straße, tauscht sich aus und erfährt, dass heute Abend eine Party im nächsten Quartier stattfindet. Oder man erfährt kurzfristig, dass der Bus, den man nehmen wollte doch nicht fährt, also schaut man sich dann nach anderen Optionen um.


Und so läuft es eigentlich dauernd in unserem Alltag. Einen groben Plan hat man schon im Kopf, doch der wird dann eigentlich immer nochmal angepasst – ganz senegalesisch spontan eben. Das ist auch das Wort, wie ich den „Lebensstil“ hier beschreiben würde. Wir haben uns sehr schnell daran gewöhnt uns nichts mehr in den Kalender zu schreiben, sondern immer nur wochenweise zu denken. Das funktioniert sehr gut, weil es so einfach stressfreier und viel entspannter ist. Zudem wird uns nie langweilig, und wir haben das Gefühl, dass uns jederzeit alle Optionen offen bleiben. Alles ist jederzeit möglich!


Das ist dann aber auch gleichzeitig der Nachteil: Alle Planungen können wirklich jederzeit umgeschmissen werden. Das ist manchmal wirklich frustrierend, weil man sich nicht wirklich auf etwas freuen kann und man sich dann schon manchmal nach der deutschen Zuverlässigkeit sehnt. Doch trotzdem genieße ich diese Spontanität hier in vollen Zügen, da man so unbeschwert und frei durch den Tag gehen kann. In Deutschland würde es mich stressen, wenn ich überhaupt nicht wissen würde, wie ich mein Wochenende verbringen werde, doch hier ist das gar nicht der Fall. Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, diese Spontanität ganz nach Deutschland mitzunehmen. Es geht ja prinzipiell nicht um mich selbst, sondern um das Umfeld. Wenn jeder seinen Alltag so spontan strukturiert, dann passt das wunderbar zusammen, doch es kann schwierig werden, wenn diese zwei „Welten“ aufeinandertreffen.


Das ist uns hier tatsächlich auch schon passiert: Wir haben mit unserem Mentor einen fixen Abfahrtermin für einen Ausflug ausgemacht. Wir wussten, dass wir zeitig da sein müssen, weil unser Mentor von uns Deutschen erwartet pünktlich zu sein. Leider stellte sich das dann als schwierig heraus, da sich das Mittagessen zuhause nach hinten verschoben hat. Unsere Gastfamilie hat dann gar nicht verstanden, wieso wir uns jetzt so beeilen wollen, um pünktlich zu sein. „Ihr werdet als erste ankommen, stresst euch doch nicht so.“, hieß es dann, sie konnten nämlich nicht nachvollziehen, wieso wir so sehr auf die Uhrzeit beharrt haben. Das passiert aber glücklicherweise nicht oft, sodass wir eigentlich immer einen entspannten Alltag in Thiès haben.


Ich will trotzdem versuchen, die senegalesische Spontanität in mir ein Stück weit zu verinnerlichen und zu Hause anzuwenden, wenn mich der stressige Alltag mal wieder überrollt. Ich bin gespannt, ob mir das gelingen wird!


Ba beneen yoon!


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